Gern greife ich das Stöckchen von mama notes auf und geb meinen "Senf" dazu. ;-) Aus meinem heutigen beruflichen Tun geschaut, hat sich in allen Bundesländern schon richtig viel bezüglich Betreuung getan. Mal abgesehen von dem Ausbau der Betreuungsplätze im U3 Bereich, entwickelt(e) sich auch im Kindergarten und Hortbereich viel.
Dieses viel bezieht sich meines Erachtens nicht nur auf die Öffnungszeiten oder den Stundenumfang sondern vor allem auch auf die Konzepte und Möglichkeiten. Das Bild vom Kind und der Kindheit an sich haben sich grundlegend gewandelt. Was von außen vielleicht viel und gedrückt wirkt, entspricht mit der (notwendigen) Offenheit in den Bildungsansätzen und Konzepten erstmal grundsätzlich den Interessen des Kindes. Sofern es selbst entscheiden kann, was es jetzt gern machen will und die bildungsanregende Umgebung parallel immer einen Input liefert ohne aufdringlich zu sein.
Der Bildungsübergang
Nicht nur das Kind steht vor dem Bildungsübergang - nein auch die Eltern haben Fragen, Ängste und Wünsche. Zum einen gleichen sie es, wie mama notes es tut, mit ihrer eigenen Kindheit ab und stellen Ähnlichkeiten oder Differenzen fest. Zum anderen fragen sich viele Eltern, ob Sohnemann oder Tochter überhaupt schon soweit sind. Im Übrigen haben sich unsere Eltern wohl auch diese Frage gestellt, jedoch gab es vielleicht viel weniger Gestaltungsspielräume um ständig und rund um die Uhr an uns dran zu bleiben.
Die freie (Spiel-)zeit
Aus der Erfahrung geschaut, ist keine Zeit der Kindheit mehr so frei, wie die bevor das Kind eingeschult wird. Einfach mal länger schlafen, gemeinsam frühstücken und sich nicht an feste Anfangs- und Endezeiten halten, ist natürlich möglich - aber eben nur in den Ferien oder an schulfreien Tagen. Und auch hier erinnern wir uns krampfhaft an unsere eigene Kindheit. Aber mal im ernst: Haben wir uns wirklich im Kindergarten und Grundschulalter belastet oder überlastet gefühlt?
Meine Kindheit
Ich kann die Frage für mich entspannt beantworten: Nein, was der Kindergarten und die Schule angeht, denn ich bin da bis etwa zum Mitte der 10. Klasse recht gern hingegangen. Meine Mutter war, wie die Mehrheit aller DDR-Mütter, Vollzeit berufstätig und das meint eben auch, dass die Zeit mit meiner Mutter hauptsächlich anfing als sie von der Arbeit kam und bis ich ins Bett ging. Ich war schon früh sehr selbstständig und ging z.b. schon mit 5 allein vom KIGA nach Hause. Ab der Einschulung bewältigte ich meinen Schulweg allein. Vorherige Schulbesuche (Kooperation KiTa-Schule-Hort) gab es so strukuriert nicht. Dafür gingen alle größeren Schüler im Viertel je nach Wohnort auf eine der 2 möglichen Schulen und somit wusste man was einem in etwa erwartet. Ich war natürlich (wie schon im KIGA) Schlüsselkind. Ich genoß, denke ich auch in den Bildungseinrichtungen als Kind schon einen Status den ich aus heutiger Sicht mit vertrauenswürdig und zuverlässig einstufen würde. Ich wurde oft gefragt, beauftragt oder mit sonstigen Aufgaben bedacht, die schon eine gewissen Reife voraussetzten. Meine MitschülerInnen nahm ich in Bezug auf die Selbstständigkeit differenziert war. Es gab immer welche, da war nachmittags einer da oder das Kind lief zu den Großeltern etc. Lustigerweise betraf das kaum einer meiner Freunde. Dort waren viele ähnlich wie ich aufgestellt.
Einen größeren bildungspolitischen Einschnitt auch in meine Kindheit und Jugend brachte das Ende der DDR mit sich. Bis dahin war ich gut verankert in der Nachmittagsbetreuung, es wurde Altpapier gesammelt, ich kassierte das Trommelgeld und verkaufte die Zeitung als Jungpionier in der Schule. Zur Wende war ich knapp 13 Jahre alt und stand bis dato regelmäßig auf dem Schulhof, schaute gespannt auf die FDJler und sehnte mich endlich auch dieses blaue Hemd tragen zu dürfen.
Was dann nach der Wiedervereinigung kam, glich einem Bildungschaos. Alles änderte sich - nicht nur jährlich sondern oft wöchentlich, täglich oder sogar stündlich. LehrerInnen und Fächer verschwanden, neue kamen hinzu, Bildungsinhalte änderten sich und am Ende natürlich auch die Ausrichtung und das Bildungsziel. Allein nach 1990 wechselte ich im lokalen Wohngebiet aufgrund von strukturellen Veränderungen noch 3 mal die Schule bis zum Abitur. Dieses Abitur und alles, was dazu gehörte, war übrigens auch neu.
Die idealisierte Kindheit
Manche Mamas und Papas können flexibel gestalten andere weniger. Bei der idealisierten Kindheit bleibt auch immer die Frage offen: Wie viel Selbstständigkeit ist notwendig und gut. Heute erscheinen mir manche Kinder mit Eintritt ins Grundschulalter noch stark betreuungsbedürftig. Die ganze Welt ist aber generell viel vernetzter. Es gibt Handys im Schulbeutel und Mom/Dad sind nur ein Knopfdruck entfernt. Auch, wenn ich jetzt alt klinge: früher war das nicht so.
Viele Forschungen haben ergeben, dass Kinder natürlich auch Zeit brauchen - strukturierte Zeit und freie Zeit. Sie brauchen sogar Zeit in denen sie Langeweile schieben, in denen keines der gekauften Spielzeuge interessant genug ist, um bespielt zu werden, in denen keinen oder nicht die richtigen Freunde Zeit haben usw. Mal unabhängig von der Freizeit, die nach der Einrichtungszeit auch noch teilweise strukturiert ist, nutzen viele Eltern ihre freie Zeit ausschließlich für den Nachwuchs. Sie fahren von A nach B, organisieren den Besuch im Sportverein, kaufen gemeinsam ein, sehen fern, gehen in den Park und am Familienwochenende unternehmen alle was gemeinsam. Klar, was soll man auch sonst machen, wenn man Kinder hat, werden sich viele LeserInnen an dieser Stelle fragen - und klar, sage ich, ist es auch in der Regel gut so - aber mal ehrlich - wieviel Zeit bleiben denn für Freunde - auch außerhalb der Schule - bzw. wieviel Freunde mit denen sich ihr Kind regelmäßig allein trifft, gibt es denn? Die Kindergeburtstagsfeier, wo ein Erwachsener die Flughafenbesichtigung oder den Aufenthalt im Spielecenter organisiert, gehören bei mir im Übrigen nicht zu diesen Gedanken.
Wenn ich als Kind zum Kindergeburtstag eingeladen wurde, was selten vorkam, fand dieser zu Hause in der Wohnung der Eltern des Kindes statt. Meine beste Freundin Anja z.b. wohnte nur über die große Hauptstraße 5 Gehminuten weit weg. Wir verbrachten von der 2. bis zur 4. Klasse täglich Stunden bei ihr im Zimmer oder auf ihrem Hof bzw. in der näheren Umgebung - oft ohne Erwachsene Begleitperson, ohne Handy und nicht in Rufweite unter dem Fenster. Heute ist das schon oft aufgrund der unterschiedlichen Entfernungen zur Schule nicht möglich. Meine Tochter hatte in Kindergarten und Grundschule 2 solche Freundinnen, die sie regelmäßig auch nachmittags noch zum Spielen traf obwohl sie auch in der Regel bis 16 Uhr im Hort war. Sie ging schon allein in den KIGA, weil sie mich gefragt hat, ob sie das machen kann. Wir haben gemeinsam geübt und feste Regeln vereinbart. Später war auch der Schulweg nach einem halben Jahr in der ersten Klasse easy. Ich ging gern mit ihr gemeinsam früh bis zur Ecke, wo sich der Schulweg vom Arbeitsweg gabelte und holte sie auch gern ab - ich akzeptierte aber auch umgehend, wenn sie sich wünschte, dass ich sie nicht hin begleite oder hole. So ging sie nachmittags ab dem 2. Schulhalbjahr der 1. Klasse schon mit einer Freundin nach Hause. Sie hatte einen Schlüssel, der auch mal weg war, sie kam auch mal zu spät, rief nicht gleich an oder sie trödelte - gab es Probleme klingelte sie auch schon mal selbstbewusst bei den Nachbarn im Haus. Und ja ich habe kein schlechtes Gewissen sondern ich hörte und höre einfach genau zu.
Kinder brauchen auch Zeit für sich ohne Kontakte, ohne Struktur, ohne Vorgaben...auch, um ihre erlernten Fähigkeiten zu vertiefen, sich auszuprobieren und frei zu sein. Die Schule ändert das spätestens alles, wenn ab der 4. Klasse die Bildungsempfehlung gesprochen wird und sie schnell größer werden - oft schneller als einem lieb ist. Trotzdem kann und will ich sie nicht klein halten - aber ich möchte weiter als Ansprechpartner fungieren, Sicherheiten schaffen und mit Rat und Tat zur Seite stehen. Dazu gehört auch, dass die Tür mal zu fliegt, ich meine Erfahrungen und mein Wissen ruhig für mich behalten kann und eigene Entscheidungen - fundierte und nicht so fundierte - getroffen werden (müssen). Vom ewigen klein halten, halte ich nichts - auch nicht vom Schaffen von (künstlichen) Abhängigkeiten. Scheitern gehört ebenso dazu, wie Erfolg.